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Strukturierte Deckungsprüfung in der Unfallversicherung

Avatar of Akad.Vkfm. Ewald Maitz Akad.Vkfm. Ewald Maitz | 05. Dezember 2022 | Recht

 

Jeder etwas komplexere Versicherungsfall erfordert eine strukturierte Deckungsprüfung, weil man nur so zu einem fachlich richtigen Ergebnis kommen kann. Insbesondere in der Unfallversicherung ist auch im Hinblick auf Vorschädigungen eine strukturierte Prüfung empfehlenswert.

 

Eine Deckungsprüfung sollte grundsätzlich immer folgendem Schema folgen: Zuerst sollte man prüfen, ob man aus der primären Risikoumschreibung heraus Deckung aus dem Versicherungsvertrag hat. In der Unfallversicherung ist das im Wesentlichen die Unfalldefinition. Dann gilt es, sekundäre Risikoausschlüsse und auch Obliegenheiten zu prüfen. Hier sind für die Unfallversicherung etwa Risikosportausschlüsse, der Alkoholausschluss oder die Führerscheinklausel relevant. Hinzu kommen in der Unfallversicherung aber noch spezifische Risikobegrenzungen, wie etwa die Vorinvalidität und der Mitwirkungsanteil von Vorerkrankungen und Gebrechen.

In der Folge beschäftigen wir uns mit dem Unfallbegriff, der Vorinvalidität und der Mitwirkung von Vorerkrankungen und Gebrechen.

 

Unfallbegriff

Kernelement der Unfallversicherung ist der Unfallbegriff. Ein Unfall liegt nach dem klassischen Unfallbegriff vor, wenn durch ein plötzlich von außen auf den Körper der versicherten Person wirkendes Ereignis eine unfreiwillige Gesundheitsschädigung erfolgt. Der Unfallbegriff verursacht bei einem Aufprall der versicherten Person gegen eine Mauer oder bei einem Hundebiss in der Regel keine Schwierigkeiten.

Jedoch gibt es auch zahlreiche Grenzfälle. Hier ein Beispiel:

Klettertour – mittelbare Gesundheitsschädigung (OGH 7 Ob 32/17g, versdb 2017, 36): Ein Sturz des Versicherungsnehmers beim Klettern in das Kletterseil führte vorerst zu keiner Beeinträchtigung seiner körperlichen Integrität. Etwas später stellte der Versicherungsnehmer fest, dass er sowohl im Kniebereich als auch bei den Füßen durchnässt war. Die Beschädigungen in den Kniebereichen der Hose waren die einzige Ursache für einen Feuchtigkeitseintritt. Ein Notruf oder eine Rettungsaktion waren nicht möglich. Bei dieser Klettertour erlitt der Versicherungsnehmer aufgrund des Feuchtigkeitseintritts Erfrierungen an beiden Vorfüßen, die deren Amputation notwendig machten. Es liegt lt. OGH kein Unfall iSd Bedingungen vor, weil die körperliche Funktionalität des Versicherungsnehmers durch den Sturz nicht so beeinträchtigt wurde, dass er die Klettertour nicht fortsetzen und beenden konnte. Diese Entscheidung kann man durchaus kritisch betrachten. Fakt ist aber, dass es diese Entscheidung des OGH gibt. Wenn man sich die Judikatur zum Unfallbegriff ansieht, muss man davon ausgehen, dass der Unfallbegriff eher eng ausgelegt wird.

Nun sollte man auch prüfen, ob es in den jeweiligen Bedingungen auch erweiterte Unfallbegriffe gibt. So gibt es etwa Versicherer, die „Erfrierungen“ unabhängig davon, ob der klassische Unfallbegriff erfüllt ist, decken. Eine gängige Erweiterung des Unfallbegriffes ist auch die sogenannte Unfallfiktion, die in unterschiedlichen Ausprägungen in den Bedingungen zu finden ist. Hier eine Variante davon: „Als Unfall gelten auch folgende Ereignisse: Verrenkungen von Gliedern sowie Zerrungen und Zerreißungen von an Gliedmaßen und an der Wirbelsäule befindlichen Muskeln, Sehnen, Bändern und Kapseln sowie Meniskusverletzungen.“ Bei dieser Variante sind Verletzungen im Wesentlichen unabhängig von der Ursache gedeckt. Zu dieser Unfallfiktion gibt es in diversen Bedingungen auch Deckungseinschränkungen, wenn etwa zusätzlich eine „erhöhte Kraftanstrengung“ oder ein „plötzliches Abweichen vom geplanten Bewegungsablauf“ gefordert wird.

Man sollte im konkreten Fall alle in den jeweiligen Bedingungen vorhandenen Unfalldefinitionen prüfen und gegebenenfalls anhand der Judikatur des OGH auslegen.

 

Vorinvalidität

Bei der Bemessung des Invaliditätsgrades wird ein Abzug in Höhe einer Vorinvalidität vorgenommen, wenn durch den Unfall eine körperliche oder geistige Funktion betroffen ist, die schon vorher beeinträchtigt war. Dieser Abzug erfolgt unabhängig davon, ob die Vorinvalidität aus einem Unfall oder einer Krankheit resultiert. Wenn die Funktion in der Gliedertaxe vorhanden ist, erfolgt die Bemessung des Abzuges nach der Gliedertaxe, andernfalls wird individuell nach rein medizinischen Gesichtspunkten die Höhe des Abzuges bemessen. Ein Abzug für Vorinvalidität erfolgt nur bei den Leistungsarten Dauerinvalidität und Unfallrente.

Zu beachten ist, dass ein Abzug nur erfolgt, wenn vom Unfall dieselbe Funktion betroffen ist, die vorher auch beeinträchtigt war. Wurde durch einen Vorunfall zunächst die Unterarmrotation beeinträchtigt und durch einen neuerlichen Unfall die Greiffunktion der Hand, ist kein Abzug für eine Vorinvalidität vorzunehmen, weil die durch den zweiten Unfall betroffene Funktion eine andere ist (OGH 7 Ob 92/07s). Es gibt aber auch Bedingungen, die auf den jeweiligen Körperteil abzielen.

 

Mitwirkung Vorerkrankungen und Gebrechen

Haben Krankheiten oder Gebrechen bei der durch ein Unfallereignis hervorgerufenen Gesundheitsschädigung – insbesondere solche Verletzungen, die durch krankhaft anlagebedingte oder abnützungsbedingte Einflüsse verursacht oder mitverursacht worden sind – oder deren Folgen mitgewirkt, ist im Falle einer Invalidität der Prozentsatz des Invaliditätsgrades, ansonsten die Leistung entsprechend dem Anteil der Krankheit oder des Gebrechens zu vermindern, sofern dieser Anteil den in den Bedingungen angeführten Prozentsatz überschreitet.

Kein Abzug erfolgt, wenn das UNFALLEREIGNIS durch eine Vorerkrankung / Gebrechen (z.B. Fehlsichtigkeit) herbeigeführt wurde (zu beachten ist hier aber die vorvertragliche Anzeigepflicht und die Anzeige von Gefahrerhöhungen).

Krankheit ist ein regelwidriger Körperzustand, der einer ärztlichen Behandlung bedarf; ein Gebrechen ist ein dauernder abnormer Gesundheitszustand, der eine einwandfreie Ausübung normaler Körperfunktionen zumindest teilweise nicht mehr zulässt. Maßstab für den regelwidrigen Körperzustand ist der altersbedingte Normalzustand. Kein Maßstab ist dabei ein abstrakter Idealzustand. Konstitutionelle Schwächen, Körperdispositionen oder die erhöhte Empfänglichkeit für bestimmte Krankheiten sind keine Gebrechen, wenn diese im Rahmen der medizinischen Norm liegen.

Bei einigen Versicherungsprodukten wird auf den Abzug unter bestimmten Voraussetzungen verzichtet (z.B. bei einem bestimmten Anteil der Mitwirkung oder bei allergischen Reaktionen).

Ein aktuelles Urteil des OGH zeigt sehr gut, wie man einen konkreten Fall strukturiert prüfen und so sehr gut lösen kann (OGH 7 Ob 178/21h, versdb 2022, 18):

Beim Aufheizen der Wassertemperatur von 37° C auf etwa 60° C bei einem Fußbad in rund 10 Minuten handelt es sich nach Ansicht des OGH zwar um ein allmählich eintretendes Ereignis, allerdings bestand objektiv kein Grund, dass der Versicherungsnehmer mit dem Erwärmen des Wassers über die anfänglich eingestellten 37° C rechnen musste und er konnte sich dem Ereignis auch nicht entziehen, weil er die Erhitzung aufgrund seiner Erkrankungen (diabetischen Polyneuropathie: teilweiser oder vollständiger Funktionsausfall der sensiblen und motorischen Nerven) solange nicht spürte bis er bereits starke Verbrennungen erlitten hatte. Der Unfallbegriff ist erfüllt. Ein Abzug (Vorerkrankungen/Gebrechen) dafür erfolgt nicht (weil Mitwirkung am Unfallereignis). Ein Mitwirkungsanteil der Vorerkrankungen des Versicherungsnehmers an seinen Verbrennungen ist auch zu verneinen, weil der Versicherungsnehmer durch das Unfallereignis (Einwirkung von heißem Wasser auf die Haut) dieselben Unfallfolgen (Verbrennungen) auch ohne seine Vorerkrankungen erlitten hätte. Ein Mitwirkungsanteil der Vorerkrankungen des Versicherungsnehmers an den weiteren Unfallfolgen, nämlich der chronischen Infektion/Sepsis und der Amputation des linken Unterschenkels ist jedoch sehr wohl zu berücksichtigen, stellte das Erstgericht doch fest, dass bei den vom Versicherungsnehmer erlittenen Verbrennungen das Risiko einer Wundinfektion samt nachfolgender Amputation im Vergleich zu Personen ohne seine Vorerkrankungen deutlich höher ist.

 

Fazit

Einen Schadenfall in der Unfallversicherung sollte man – insbesondere wenn Vorerkrankungen bzw. eine Vorinvalidität vorhanden ist – strukturiert prüfen. Jeder Schadenfall ist individuell zu beurteilen. Dabei sollte man die Judikatur des OGH – insbesondere bei Grenzfällen – berücksichtigen.