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Spätrücktritt in der Lebensversicherung

Avatar of Mag. Alexander Meixner Mag. Alexander Meixner | 27. Oktober 2022 | Wirtschaft & Steuern

 

 

Nach einer grundlegenden Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) aus 2013 (C209/12) und einer Entscheidung des Obersten Gerichtshofes (OGH) aus 2015 (7 Ob 107/15h) steht einem Versicherungsnehmer bei fehlender oder fehlerhafter Belehrung des Versicherers über das bei Lebensversicherungen bestehende Rücktrittsrecht ein „ewiges“ Rücktrittsrecht zu. Man spricht in diesem Zusammenhang auch vom sogenannten „Spätrücktritt“.

 

Seitdem wurden von den Versicherungen viele Argumente gegen diesen “Spätrücktritt“ vorgebracht. Über 5 Einwendungen hat der EuGH am 19. Dezember 2019 (C355/18 bis C357/18 und C479/18) entschieden.

 

Zugunsten der Verbraucher entschieden

Ewiges Rücktrittsrecht auch bei Kenntnis von fehlerhafter Rücktrittsbelehrung

Im Falle einer fehlenden oder fehlerhaften Rücktrittsbelehrung beginnt die Frist nicht zu laufen, wenn der Versicherungsnehmer/die Versicherungsnehmerin auf einem anderen Weg als durch den Versicherer von seinem Rücktrittsrecht Kenntnis erlangte.

 

Beschränkung auf Rückkaufswert unzulässig

Der EuGH stellt klar, dass eine Beschränkung auf den Rückkaufswert unzulässig ist.

 

Rücktrittsrecht erlischt nicht nach Kündigung

Auch hier fällt der EuGH ein klares Urteil. Das Rücktrittsrecht erlischt nicht, wenn die Lebensversicherung zum Beispiel aus finanziellen Gründen bereits vorzeitig rückgekauft werden musste.

 

Falsche Rücktrittsbelehrung durch unzulässige Formvorschriften – eine Grundsatzfrage

Österreichische Gerichte haben unter Berücksichtigung der österreichischen Rechtslage und der Umstände im Einzelfall zu prüfen, ob den Versicherungsnehmern durch eine falsche Rücktrittsbelehrung die Möglichkeit genommen wurde, ihr Rücktrittsrecht im Wesentlichen unter denselben Bedingungen auszuüben, wie bei richtiger Rücktrittsbelehrung.

In der Entscheidung 7 Ob 4/20v vom 10.02.2020 hat der OGH ausgesprochen, dass keine relevante Erschwernis des Rücktrittsrechts vorliege, wenn für die Erklärung des Rücktritts Schriftform verlangt war. Die Rücktrittsfrist habe daher mit Zugang der Polizze begonnen, der nachträgliche Rücktritt war somit „längst verfristet“.

 

Nicht zum Spätrücktritt berechtigen laut OGH weiters

die Belehrung über den Fristbeginn mit „Zustandekommen des Vertrags“ anstelle mit der „Verständigung vom Zustandekommen des Vertrags“ (7 Ob 6/20p),

keine oder eine fehlerhafte Belehrung über die Rücktrittsfolgen (7 Ob 6/21i),

wenn die Belehrung erst in der Polizze erfolgte und nicht schon im Antrag (7 Ob 121/21a),

wenn die Belehrung nach § 165a VersVG im Antrag erfolgte und in der Polizze nicht wiederholt wurde, weil dort nur über die Rücktrittsrechte nach § 5b VersVG und § 8 FernFinG informiert wurde (7Ob180/21b).

 

Zum Spätrücktritt berechtigt laut OGH aber, wenn die Rücktrittsbelehrung

gänzlich fehlt (7 Ob 11/20y),

unrichtig eine Frist von 2 Wochen statt von 30 Tagen nennt (7 Ob 107/15h),

die Ausübung des Rücktrittsrechts an gesetzlich nicht vorgesehene Bedingungen knüpft (7 Ob 10/20a),

im Antragsformular unrichtig und in der Polizze richtig erfolgte (7 Ob 146/20a oder 7 Ob 200/20t).

 

Zinsen verjähren innerhalb von 3 Jahren

Eine Beschränkung der Vergütungszinsen auf den Zeitraum der letzten 3 Jahre der nach einem Spätrücktritt zu erstattenden Prämien ist laut EuGH dann unzulässig, wenn der Versicherungsnehmer dadurch abgehalten werden könnte, sein Rücktrittsrecht auszuüben, obwohl der Vertrag nicht seinen Bedürfnissen entspricht.

 

Der OGH entschied daraufhin in seiner Entscheidung 7 Ob 19/20z, dass die gesetzlichen Zinsen in Höhe von 4 Prozent lediglich für die letzten 3 Jahre zustehen. Die Beweisführung, dass der Versicherungsnehmer dadurch von seinem Rücktrittsrecht abgehalten wurde, wird kaum zu erbringen sein. In der Praxis bleibt es daher wohl bei den Zinsen für die letzten 3 Jahre.

 

Versicherungssteuer

In einem weiterem EuGH Urteil (C 803/19) zum Thema Rücktritt Lebensversicherung ging es ausschließlich um die Versicherungssteuer. Anschließend entschied der OGH, dass die Steuer bei einem berechtigten Spätrücktritt vom Versicherer nicht an den Konsumenten rückzuerstatten ist.   

 

In der Entscheidung 7 Ob 185/21p hat der OGH dann auch den Anspruch auf Rückzahlung der Versicherungssteuer aus dem Titel des Schadenersatzes bestätigt, weil der Versicherer im gegenständlichen Fall nicht nachweisen konnte, dass er den Versicherungsnehmer über das Rücktrittsrecht belehrt hatte.

 

Folgen des Spätrücktritts

Spätrücktritte, die vor dem 01.01.2019 erklärt wurden, sind nach ständiger höchstgerichtlicher Rechtsprechung nach bereicherungsrechtlichen Grundsätzen rückabzuwickeln (z.B.: 7 Ob 107/15h,

7 Ob 10/20a, 7 Ob 19/20z etc.).

 

Mit 01.01.2019 ist eine gesetzliche Neuregelung des Spätrücktritts in Kraft getreten, die zu einer teilweise erheblichen Verschlechterung für die Versicherungsnehmer geführt hat. Demzufolge erhält der Versicherungsnehmer bei einem Spätrücktritt, der später als 5 Jahre nach Vertragsabschluss erklärt wird, „nur“ den Rückkaufswert – wie bei einer Kündigung des Vertrages, wodurch das Rücktrittsrecht de facto entwertet bzw. seiner Wirksamkeit beraubt wird.

 

Diese Neuregelung haben Experten von Beginn an als höchst problematisch bzw. nicht vereinbar mit dem geltenden Unionsrecht angesehen. Auf Basis der EuGH-Judikatur hat die Europäische Kommission im April 2020 aufgrund rechtlicher Bedenken in weiterer Folge ein Verfahren zur Prüfung der Zulässigkeit der österreichischen Rechtslage eingeleitet.

 

Am 9.2.2022 wurde bekannt, dass das Justizministerium einen Entwurf zur Änderung des Versicherungsvertragsgesetzes vorgelegt hat. Damit soll die Regelung des Spätrücktritts jetzt der Judikatur des EuGHs und des OGHs angepasst werden. Die Änderung würde kurz zusammengefasst bedeuten, dass ein Rücktritt immer dann möglich ist, wenn über das Rücktrittsrecht gar nicht oder grob fehlerhaft belehrt wurde. Grob fehlerhaft ist eine Rücktrittsbelehrung, wenn sie dem Versicherungsnehmer die Möglichkeit nimmt, sein Rücktrittsrecht im Wesentlichen unter denselben Bedingungen auszuüben, wie bei zutreffender Belehrung (siehe dazu auch die oben angeführten Entscheidungen des OGH). Besteht ein Rücktrittsrecht, so wäre der Vertrag bereicherungsrechtlich rückabzuwickeln und nicht bloß der Rückkaufswert auszuzahlen. 

 

Unabhängig von dieser bevorstehenden „Gesetzesreparatur“ hatte sich der OGH in der Entscheidung 7 Ob 185/21p erstmals mit einem ab 01.01.2019 erklärten Spätrücktritt zu befassen. Der OGH kam zum Ergebnis, dass auch in diesem Fall (und entgegen dem Wortlaut der gesetzlichen Bestimmungen) eine bereicherungsrechtliche Rückabwicklung geboten ist.

Zusammengefasst bedeutet dies, dass laut höchstgerichtlicher Rechtsprechung bei einem Spätrücktritt eine bereicherungsrechtliche Rückabwicklung vorzunehmen ist – egal, ob der Rücktritt vor oder nach dem 31.12.2018 erklärt wurde.

 

Betroffene Versicherungsnehmer haben damit Anspruch auf:

Rückerstattung der geleisteten Netto-Versicherungsprämien (d.h. abzüglich der Versicherungssteuer sowie allfälligen Risikoprämien wie z.B. für den gewährten Ablebensschutz)

(zumindest) Zinsen für die letzten 3 Jahre

Rückerstattung der Versicherungssteuer – aus dem Titel des Schadenersatzes