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Serie Juristische Begriffe - Haftung in der gesetzlichen Unfallversicherung

Avatar of Mag. Alexander Meixner Mag. Alexander Meixner | 27. September 2023 | Recht

 

Bis zur Einführung der gesetzlichen Unfallversicherung im Jahre 1889 mussten durch einen Arbeitsunfall oder eine Berufskrankheit geschädigte Dienstnehmer ihre Dienstgeber auf Schadenersatz klagen und vor Gericht beweisen, dass der Unfall oder die Berufskrankheit vom Dienstgeber verschuldet war.

In vielen Fällen wurde im Verfahren ein Verschulden oder Mitverschulden des Dienstnehmers eingewendet, sodass am Ende der Schadenersatzanspruch entweder überhaupt entfiel oder sich erheblich verminderte. Das Prozessrisiko belastete die Dienstnehmer mangels vorhandener finanzieller Mittel deutlich mehr, da die Dienstgeber über ausreichend Vermögen verfügten oder umfassend versichert waren. Diese aus Sicht der Dienstnehmer unbefriedigende Situation machte den Übergang auf eine verschuldensunabhängige Haftung notwendig.

Dienstgeberhaftungsprivileg

Vorauszuschicken ist, dass den Dienstgeber gegenüber seinen Dienstnehmern eine Fürsorgepflicht trifft. Unter einer derartigen Pflicht ist zu verstehen, dass der Dienstgeber auf seine Kosten seinem Dienstnehmer Räume und Geräte für deren Tätigkeit bereitstellen muss und dafür zu sorgen hat, dass das Leben und die Gesundheit des Dienstnehmers bei Ausübung seiner Arbeit möglichst geschützt sind.

Aus der Grundkonzeption der gesetzlichen Unfallversicherung – der Übertragung des Haftpflichtrisikos der Dienstgeber für Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten auf die Unfallversicherungsanstalt bei gleichzeitiger Übernahme der Gesamtkosten durch die Unternehmen – und aus dem Bestreben, Schadenersatzprozesse zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern möglichst zu vermeiden, ergeben sich haftungsrechtliche Besonderheiten für den Dienstgeber und ihm gleichgestellte Personen.

Der Dienstgeber, seine gesetzlichen und bevollmächtigten Vertreter und der Aufseher im Betrieb haften dem durch einen Arbeitsunfall oder eine Berufskrankheit am Körper geschädigten Dienstnehmer nur bei vorsätzlicher Herbeiführung dieser Schädigungen. Wurden die Schädigungen dagegen nur leicht oder grob fahrlässig herbeigeführt, entfällt jede persönliche Haftung des Dienstgebers und der eingangs erwähnten Personen gegenüber dem Verletzten bzw. Erkrankten. Dieser weitgehende zivilrechtliche Haftungsausschluss wird als Dienstgeberhaftungsprivileg bezeichnet.

Eine Ausnahme dieses Privilegs besteht nur dann, wenn der Arbeitsunfall durch ein Verkehrsmittel herbeigeführt wurde, für dessen Betrieb eine erhöhte gesetzliche Haftpflicht besteht. In einem derartigen Fall bleibt die Haftung bei leicht oder grob fahrlässiger Herbeiführung bis zur Höhe der vorhandenen Haftpflichtsumme bestehen. Der Gesetzgeber wollte demnach wohl den Dienstgeber, nicht aber die Haftpflichtversicherung entlasten.

Das Dienstgeberhaftungsprivileg gilt nicht bei Unfällen gegenüber gleichgestellten Kollegen, wobei der Begriff des Aufsehers im Betrieb durch den OGH äußerst großzügig ausgelegt wird. Entscheidend ist, ob der Schädiger im Zeitpunkt des Unfalles „für ein Zusammenspiel persönlicher oder technischer Kräfte, wenn auch in untergeordneter Stellung, verantwortlich war.“

Haftungsausschluss

Bei Arbeitsunfällen bestehen zivilrechtlich relevante Haftungskonstellationen, die grundsätzlich einen Anspruch des Geschädigten gegen den Schädiger aus vertraglicher und/oder deliktischer Haftung begründen. Oftmals wäre dem Dienstgeber die Schadenszufügung zurechenbar, was eine direkte Schadenersatzverpflichtung des Dienstgebers gegenüber dem Dienstnehmer auslösen würde. Für derartige Fälle bestehen im ASVG allerdings diverse Sonderregelungen, die – wie bereits ausgeführt – unter dem Begriff Dienstgeberhaftungsprivileg – zusammengefasst werden.

Das zivilrechtliche Zurechnungsprinzip wird durch den § 333 ASVG wesentlich durchbrochen, da der Dienstgeber der versicherten Person für einen körperlichen Schaden infolge eines Arbeitsunfalles oder einer Berufskrankheit nur dann haftet, wenn er den Arbeitsunfall bzw. die Berufskrankheit vorsätzlich verursacht hat. Zudem sind auch gesetzliche oder bevollmächtigte Vertreter des Dienstgebers, wie beispielweise Geschäftsführer oder Vorstände, sowie Aufseher im Betrieb vom Haftungsausschluss erfasst. Für die Qualifizierung als Aufseher ist laut OGH entscheidend, ob der Schädiger im Zeitpunkt des Unfalles für ein Zusammenspiel persönlicher oder technischer Kräfte, wenn auch in untergeordneter Stellung, verantwortlich war.

In den restlichen Fällen, in denen ein zivilrechtlicher Haftungsanspruch nicht gegen den Dienstgeber oder gegen Personen, die dem Dienstgeber gleichgestellt sind, entsteht, sondern gegen Dritte, beispielsweise einem „einfachen“ Arbeitskollegen, besteht keine Haftungsbefreiung. Der Dritte haftet dem Geschädigten an sich unbeschränkt und abhängig vom Verschuldensgrad nach allgemeinen zivilrechtlichen Prinzipien.  

In der Praxis führt das Dienstgeberhaftungsprivileg dazu, dass Ersatzansprüche gegen den Dienstgeber oder und dessen privilegiertem Umfeld kaum vorkommen, weil sich vorsätzliche Schädigungen höchst selten ereignen. Der Geschädigte ist also allein auf die Leistungen des gesetzlichen Unfallversicherungsträgers angewiesen. Dies mag gelegentlich nachteilig für den Versicherten sein, weil nicht immer der gesamte Schaden gedeckt wird. So kann die abstrakt ermittelte Versehrtenrente geringer sein als der tatsächliche Verdienstentgang und Schmerzensgeld wird seitens der Unfallversicherung überhaupt nicht bezahlt. Auf der anderen Seite besteht auch dann ein Anspruch gegen den Unfallversicherungsträger, wenn zivilrechtliche Ansprüche gegen den Dienstgeber überhaupt nicht bestehen, beispielsweise in Fällen, in denen der Dienstnehmer aus Eigenverschulden verunfallt bzw. erkrankt.

Sachschäden fallen niemals unter die Leistungspflicht des Unfallversicherungsträgers und müssen daher stets vom Dienstgeber ersetzt werden. So ist der Dienstgeber zum Beispiel ganz oder teilweise ersatzpflichtig, wenn während einer Dienstfahrt mit dem Privatfahrzeug durch einen Unfall ein Schaden am Fahrzeug entstanden ist. Man spricht in diesem Zusammenhang auch von der Risikohaftung des Arbeitgebers.

Regress

Der Dienstgeber und ihm gleichgestellte Personen sind aber nur im Verhältnis zum Geschädigten selbst privilegiert. Im Verhältnis zum Sozialversicherungsträger, der Leistungen erbringt, bleibt eine eventuell bestehende Ersatzpflicht unberührt. Der § 334 ASVG ordnet diesbezüglich an, dass im Falle von Vorsatz oder grober Fahrlässigkeit der Verursacher des Schadens dem Versicherungsträger alle zu gewährenden Leistungen zu ersetzen hat. Ausgenommen davon ist die Integritätsabgeltung.

Der Dienstgeber kann gegenüber dem Unfallversicherungsträger kein Mitverschulden des Dienstnehmers einwenden. Der Rückgriff steht auch dem Krankenversicherungs- und dem Pensionsversicherungsträger zu, sofern diese Leistungen im Zuge eines Arbeitsunfalles oder einer Berufskrankheit erbracht haben, für die sich der Dienstgeber grobe Fahrlässigkeit oder Vorsatz vorwerfen lassen muss.

Die Sozialversicherungsträger können auf den Regress verzichten, wenn kein Vorsatz vorliegt und die wirtschaftlichen Verhältnisse des Dienstgebers dies begründen.

Das Gesetz normiert, das Ansprüche, die dem Geschädigten durch den Versicherungsfall erwachsen sind, soweit auf den Sozialversicherungsträger übergehen, als dieser Leistungen zu erbringen hat. Es liegt demnach eine Legalzession vor. Ausdrücklich ausgenommen sind von dieser Regelung Ansprüche auf Schmerzensgeld.

 

Quellen:
Haslinger; Sozialrecht – Grundlagen und Fälle; Facultas
Sonntag; Allgemeines Sozialversicherungsgesetz 2022; Linde Verlag
www.auva.at